Werkzeugkasten zu einer Praxis des ‚Cultural Leadership‘
Programm-Alumnus Joachim Bothe teilt seine persönlichen Eindrücke aus dem Cultural Leadership-Stipendienprogramm 2023/24.
Dieser Bericht erschien erstmalig in den Kulturpolitischen Mitteilungen Nr. 185 II/2024, S.95-97 und ist auch in der Abschlussdokumentation enthalten.
- Am Anfang stand ein Bedarf, auch und sehr deutlich 2022 in den Kulturpolitischen Mitteilungen benannt: „Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen mit ihren disruptiven Veränderungen erfordern ein anderes Verständnis von Führung im Sinne eines Umgangs mit immer komplexeren Herausforderungen – etwa in Bezug auf Agilität, Digitalität, Diversität und Nachhaltigkeit. […] So sinnvoll es ist, auf eine neue Führungskultur im Sinne von ‚Cultural Leadership‘ zu setzen, so wenig realistisch ist es zu hoffen, dass diese von selbst entstehen wird. […] Es ist an der Zeit, den internationalen Vorbildern folgend das Themenfeld Qualifizierung von und für Cultural Leadership mutig und systematisch anzugehen.“1 In der Folge entstand in Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft und dem Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg das ‚Cultural Leadership‘-Stipendienprogramm.
- Am Anfang stand ein Bedarf, auch und sehr deutlich in meiner Bewerbung für die Teilnahme am Stipendienprogramm im Anschluss an die Schilderung des eigenen Arbeitsfelds benannt: „Für diese Tätigkeit und die damit verbundenen transformativen Prozesse, Entscheidungen und Weichenstellungen erhoffe ich mir von dem ‚Cultural Leadership‘-Stipendienprogramm Austausch, neue Impulse und Inspiration. Und ich wünsche mir konkretes strategisches und operatives Handwerkszeug (im Sinne eines Werkzeugkastens2, nicht im Sinne einer A-Z-Bauanleitung), um Veränderungen auf den Weg zu bringen.“
- Hervorragend, wenn ein Plan funktioniert.
- Der an dieser Stelle nach knapp zwei Dritteln des ersten Durchlaufs vorgenommene Rückblick versucht einen Einblick in Inhalte und Lernerfahrungen. Er erfolgt subjektiv aus der Perspektive eines einzelnen Teilnehmenden und in der schlaglichtartigen Auswahl von Eindrücken und wesentlichen Momenten, ohne Verallgemeinerbarkeit auf die 15 Personen umfassende Gruppe3 und ohne den Anspruch, das gesamte Programm in seiner Komplexität systematisch darzustellen. Anliegen ist es vielmehr, den Wert des Programms zu zeigen – an sich und für mich.
- Ohne die vereinbarte Vertraulichkeit zu durchbrechen: Die schnelle Offenheit in der Gruppe und die Bereitschaft, sich mit den eigenen Fragen, Sorgen, Überzeugungen und Leidenschaften in den Prozess zu geben, waren für das gemeinsame Anliegen und die gemeinsame Reise enorm hilfreich.
- Ganz am Anfang und immer wieder:
Wie will ich eigentlich arbeiten?
Welche Werte möchte ich in meiner Arbeit umsetzen und leben?
Welche Werte und Inhalte möchte ich durch meine Arbeit nach vorne bringen?
Wie weit kann und will ich mich engagieren und wo muss und will ich Grenzen setzen?
Auf welcher Basis treffe ich Entscheidungen und wie gehe ich mit Dilemmata um?
- Transparenz und Spannungsbögen: eine Wohltat. Sagen, was man machen möchte, machen, was man gesagt hat, sagen, was man gemacht hat. Menschen mitnehmen, Transparenz herstellen. Die Themen und Elemente im Stipendienprogramm bauen aufeinander auf. Organisch, sinnvoll, mit Flexibilität und entspannt. Diese Bögen bilden gute Beispiele für jeden Veränderungsprozess, für jedes Projekt. Das Prinzip dahinter: I DO ART. Zu benennen im Projekt sind: Intention (Intention), Desired Outcome (gewünschtes Ziel), Agenda (Themen und Aufgaben), Rules and Roles (Regeln und Rollen), Timeline (Zeitrahmen).
- Es lohnt sich, vermeintlichen Kleinigkeiten und organisatorischen Notwendigkeiten viel Aufmerksamkeit zu schenken: Ein guter Raum (in unserem Fall beim zweiten Präsenzmodul die Probebühne des Theaters im Pumpenhaus in Münster), ein guter Ort (Natur rund um die Akademie für Kulturelle Bildung beim ersten Präsenzmodul), mit Liebe und Bedacht gewählte Verpflegung oder gestaltete Materialien zeigen Wertschätzung und fördern Kreativität und Atmosphäre.
- Veränderungsprozesse mit den „Phasen der Trauer“ von Elisabeth Kübler-Ross in Beziehung zu setzen, wirkte im ersten Moment makaber und bitter („Tal der Tränen“? Wo bleiben denn da Euphorie und Leichtigkeit und der wilde Reiz des Neuen?), bleibt aber hängen – und erschließt sich in der näheren Auseinandersetzung als unbedingt plausibel. Mögliche Konsequenzen: Rücksichtsvoll, nicht mit der Tür ins Haus fallend, den verschiedenen Phasen Zeit und Raum geben. Beachten, dass unterschiedliche Menschen unter Umständen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Prozesse einsteigen und deshalb die Phasen versetzt durchlaufen. Im Blick zurück das Gewesene wertschätzen und im Gewesenen das Wertzuschätzende suchen.
- Stärker als im Vorfeld erwartet ging es um eigene kommunikative Fähigkeiten und Möglichkeiten in Veränderungsprozessen. Eigene Haltungsfragen und das Einnehmen einer fragenden Haltung. Umgang mit Widerständen. Kollegiale Beratung. Welches Feedback gebe ich in welchem Rahmen? Was bespricht man in einer gesamten Gruppe, was wird dort vielleicht „zerredet“?
- Im Rahmen des zweiten Präsenzmoduls in Münster fand ein Besuch beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) statt. Neben der Vorstellung der kulturpolitischen Arbeit und Aufgabe des Verbands ging es auch um die Aktivitäten, agiles Arbeiten beim LWL voranzutreiben.4 Kollaborationstools, agiles Projektmanagement, ein verbandsinternes „Netzwerk Agilität“. Solche Dinge. Wenn es einer derart großen Einrichtung möglich ist, hier neue Wege zu gehen, ist das ein ermutigendes Signal auch für Organisationen mit weniger Mitarbeitenden. Mal wieder: Schritt für Schritt. Mit einer Vorstellung davon, wo man hinwill. Beginnen mit denen, die Interesse haben.
- Das Modul zu „Diversität“ folgt erst noch im Laufe des letzten Drittels. Im Sinne der beiderseitigen Bedarfsäußerung (siehe 1. und 2.) müsste meines Erachtens die Förderung von Diversität im Kulturbetrieb ganz grundlegend alles Denken und Arbeiten im Stipendienprogramm durchziehen. So nutze ich die Gelegenheit, an dieser Stelle auf den beeindruckenden Vortrag „Umdenken umsetzen – Rahmen- und Gelingensbedingungen für einen nachhaltigen Wandel im Kulturbereich“ von Prasanna Oommen bei der Jahrestagung des Fachverbands Kulturmanagement 2023 „Kulturelle Teilhabe – Status Quo und Zukunftsperspektiven“ hinzuweisen.5
- Fast jede Lehrstelle zeigt neue Leerstellen. Ich lerne dazu, und lerne dabei auch wieder, was ich noch nicht weiß. Oder kann. Wenig überraschend ersetzt ein achtmonatiges Stipendienprogramm mit neun Modulen keine kompletten Studiengänge. Aber das war ja auch nie die Idee. Man kann nicht alles behandeln. Muss sich auf Wichtiges und Gewünschtes konzentrieren. Und verzichtet dabei dennoch auf auch Wichtiges und auch Gewünschtes. Es gäbe immer noch so vieles mehr, mit dem man sich befassen könnte. Nein: müsste! Es gibt bei fast jedem Thema Wunsch und Bedarf, noch viel tiefer zu gehen. Vieles wird im besten Sinne angestoßen. Der Anstoß kann zum Handwerkszeug zur weiteren eigenen Auseinandersetzung und zur Anwendung im Alltag werden. Dennoch bleibt eine Spannung, die es auszuhalten gilt.
- Der Schritt zurück von der täglichen Arbeit, der Schritt nach draußen in eine andere Umgebung – unabhängig von den Programminhalten und in der Verknüpfung mit ihnen kann dessen Bedeutung nicht genug betont werden. Mit etwas Abstand auf den Alltag zu schauen. Sich in Abgeschiedenheit und in einer Gruppe von Gleichgesinnten den „großen Fragen“ zu stellen. Mit Freiraum zu entwickeln, wie es auch sein und gehen könnte. Nicht immer gelingt die innere oder faktische Abschottung: Ein kurzer Blick ins E-Mail-Postfach, ein kurzer Gedanke an das Projekt, das übermorgen über die Bühne geht, schnell ist man mit den Gedanken wieder zurück im Alltag. Und umgekehrt ist eine der großen Fragen auch immer wieder: Wie kann ich möglichst viel von dem Entwickelten und Gelernten mit zurück in den Alltag, mit zurück zu meinen Leuten, mit zurück zwischen den Trubel und die Dringlichkeiten nehmen? Was ich dabei erlebe und was mir hilft: eine „mobilisierende Kraft“6, die immer wieder im Austausch, in den Impulsen, im Miteinander des Stipendienprogramms entsteht.
- Zierold, Martin/Mohr, Henning (2022): Cultural Leadership braucht Kompetenzentwicklung. In: Kulturpolitische Mitteilungen, Nr. 176, S. 72f. ↩︎
- Form und Titel dieses Beitrags spielen nicht ohne Grund auf den „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ von Hans Magnus Enzensberger aus dem Jahr 1970 (Kursbuch, Nr. 20, S. 159-186) an. ↩︎
- Zur Bewerbung um die Teilnahme aufgerufen waren Menschen aus Kultureinrichtungen in Nordrhein-Westfalen, mit Leitungserfahrung, mit einem Anwendungsfeld für das Gelernte und mit Berufserfahrung zwischen drei und 15 Jahren. ↩︎
- s. www.karriere.lwl.org/der-lwl-als-arbeitgeber/new-work/ ↩︎
- Mitschnitt verfügbar unter: https://vimeo.com/iktf/impuls ↩︎
- „Das offenbare Geheimnis der elektronischen Medien, das entscheidende politische Moment, das bis heute unterdrückt oder verstümmelt auf seine Stunde wartet, ist ihre mobilisierende Kraft.“ (Enzensberger 1970: 160) ↩︎
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