Cultural Leadership: Gesellschaftliche Transformation in den eigenen Strukturen proben

Programm-Alumna Regina Weidmann fasst ihre Eindrücke und Erkenntnisse im Rahmen des Cultural Leadership-Stipendienprogramms 2023/24 zusammen.

Dieser Bericht ist auch in der Abschlussdokumentation enthalten.

Herausforderungen der Transformation betreffen Cultural Leadership

Das Cultural Leadership-Programm macht es sich zur Aufgabe, vor dem Hintergrund der Herausforderungen unserer Zeit „Kulturorganisationen und ihre Führungskräfte zu stärken, damit sie nachhaltig agieren und gesellschaftliche Wirkung erzielen können“. Das Programm greift damit einen Anspruch auf, der uns Stipendiat:innen auf unterschiedliche Weise begegnet und den Kunst- und Kulturbetrieb aus vielfach Weise prägt, wie folgende Beispiele veranschaulichen:

Deutschlandweit angereiste Kulturarbeiter:innen tauschen sich auf der Culture4Climate-Konferenz über Fragestellungen aus, wie: Welchen Beitrag leisten Kulturorganisationen, Kulturschaffende, Verbände, Kulturverwaltung und -politik zur Erreichung der nationalen und globalen Klima- und Nachhaltigkeitsziele? Vor welchen Herausforderungen steht Kultur und ihre Akteur:innen kurz- und mittelfristig und welche Lösungsansätze gibt es? 

Ob Künstliche Intelligenz für den Kulturbetrieb Muse oder Monster ist, ist zentrale Fragestellung einer weiteren Kulturkonferenz im Herbst 2024 nach dem letzten Modul des Cultural Leadership-Programms. Die Konferenz verhandelt die Nutzbarkeit von KI als Werkzeug im Alltag des Kunst- und Kulturtriebs und lotet dessen Fähigkeiten sowie die Möglichkeiten aus, die Wirkung des Tools in unserer Gesellschaft positiv zu gestalten. 

Von diesen Beispielen angesprochen werden zwei Qualitäten von Kunst und Kultur. Zum einen wird der Kulturbereich als prädestiniert dafür gesetzt, Themen wie Nachhaltigkeit und KI im eigenen Betrieb umzusetzen und eine Art Vorreiter:innenrolle zu erfüllen. Hier zeigt sich, nicht zuletzt sichtbar an den Schwerpunktsetzungen von Konferenzen, Veröffentlichungen und weiteren diskursiven Elementen, dass genau das gelingt. Außerdem wollen wir (also die Kulturakteur:innen) ökologisch nachhaltig agieren und wir bilanzieren unseren CO2-Verbrauch, ergreifen konkrete Maßnahmen, um das zu tun. Probieren, führen durch, evaluieren. Wir verwenden Tools wie ChatGPT und bewegen uns damit auf der Höhe der Zeit. Wir zeigen Innovationsfreude und -kompetenz in all diesen Bereichen und qualifizieren uns damit zur gesamtgesellschaftlichen Relevanz. Es ist eine wichtige Fähigkeit, innerhalb der durch Kunst geschaffenen Möglichkeitsräume, die drängenden Fragen unserer Zeit kreativ zu probieren und im besten Fall zu beantworten. Auf diese Weise sollen Kunst und Kultur über sich selbst hinausweisen und in die Gesellschaft wirken, ihre Transformation (hin zum Besseren) gestalten. Dass Kunst über sich hinausweist, ist ihre große Stärke. Diese Fähigkeit kann aber auch ihre große Schwäche sein, wenn sie – während sie weitsichtig in die Ferne blickt und Vergangenheit, Gegenwart und antizipierte Zukunft abstrahiert, zerlegt und neu zusammensetzt – es verpasst, die probierten Kulturtechniken der gesellschaftlichen Transformation auf die eigenen Strukturen anzuwenden. Und das gelingt leider häufig (noch) nicht. Themen wie Gleichberechtigung, Inklusion, Antidiskriminierung und das Durchbrechen der diesen zugrundeliegenden Strukturen sind die drängenden Fragen der Gegenwart des Kunst- und Kulturbetriebs und der Gesellschaft. Denn die Gesellschaft, in die wir mit unserem Schaffen wirken möchten, beginnt nicht erst außerhalb, sondern findet innerhalb unserer eigenen Strukturen statt. Auch hier Antworten zu finden und Möglichkeiten auszuprobieren, zählt zu unseren Herausforderungen. 

Führung passiert auf Grundlage der individuellen Haltung

Dass Cultural Leadership genau hier ansetzen sollte, ist meine Überzeugung und mit dieser Haltung habe ich mich auf das Stipendienprogramm beworben: Kunst und Kultur durch Management zu ermöglichen heißt auch, und vielleicht sogar vor allem und zuallererst, gesellschaftlichen Fortschritt in den Strukturen des Kunst- und Kulturbetriebs zu realisieren. Die Perspektive, aus der heraus ich diese Haltung formuliere, ist die der Mitarbeiterin der kaufmännischen Geschäftsführung der Kultur Ruhr GmbH – mit Blick auf die Beziehung zwischen finanziellen Aspekten, strukturellen und organisationsentwicklerischen Fragestellungen und Führungsthemen. Vor allem mit letzteren beiden Themenblöcken haben sich die Stipendiat:innen in den Modulen des Cultural Leadership-Stipendienprogramms auseinandergesetzt, die die Macher:innen des Programms, konzipiert und mit der Gruppe durchgeführt, reflektiert und probiert haben. Mit Blick auf meine Schwerpunktsetzung waren einige Aspekte für mich besonders wertvoll. Denn das Konzept des Programms hat der individuellen Persönlichkeit der Teilnehmer:innen Aufmerksamkeit geschenkt und herausgearbeitet, dass genau sie es ist, die Leadership definiert und das Handeln, das aus ihr hervorgeht, rahmt. 

Dass es auf meine persönliche Haltung also ein eigenes Wertegerüst ankommt, auf dessen Grundlage Führung passiert, ist für mich eine wertvolle Erkenntnis, die ich aus dem Programm gewonnen habe. Haltung kommt vor den Tools, mit denen Changeprozesse gestaltet, Entscheidungen getroffen und Probleme von Dilemmata unterschieden werden, um Handlungsoptionen zu entwerfen und schließlich umzusetzen. Auf diesen Punkt haben vielfältige Inhalte des Programms eingezahlt. Die Auseinandersetzung mit dem inneren Führungsteam und wie in diesem Team eine gute Zusammenarbeit zwischen Unternehmerin, Expertin, Angestellter, Coachin und selbst betroffenem Menschen gut gelingen kann, hat etwa Raum gefunden. Ebenso die Auseinandersetzung mit Lernbögen. Solchen, die bereits geschlagen wurden und damit auch auf künftig nutzbare persönliche Ressourcen weisen, solche, die begonnen wurden und sich im Prozess befinden, und auch Entwicklungsthemen, die zwar in Sichtweite sind, aber noch in der Zukunft liegen. 

Perspektivenvielfalt als wertvolle Ressource

Die Vielzahl an Perspektiven der Teilnehmer:innen habe ich als besonders wertvoll empfunden. Kolleg:innen zum Beispiel aus städtischen Verwaltungen, der Freien Szene, Ausstellungshäusern und dem Orchestermanagement haben gezeigt, wie vielfältig und breit gefächert Führung im Kunst- und Kulturbetrieb ist – und natürlich nicht zuletzt auch, welche Themen uns alle gleichermaßen beschäftigen. Gelegenheit zur Diskussion hatten wir während kollegialer Fallberatungen, engagierter Plenumsdiskussionen, am Mittagstisch oder beim Getränk nach Abschluss der offiziellen Tagesprogrammpunkte. Die Gruppe war es auch, die die individuellen Wertgerüste der Teilnehmer:innen eben durch diese vielen Perspektiven in Frage und auf die Probe stellte und schon für das sensibilisierte, was auch in unserem Arbeitsalltag in den Institutionen und Projekte auf uns warten würde. Denn nicht zuletzt die Diskussionen um Widerstände in Changeprozessen hat uns gezeigt, dass Werte zu haben nicht gleichgesetzt werden kann damit, dass diese auch umgesetzt und gelebt werden. Wie handle ich, wenn ein eingespieltes Team die agile Arbeitsweise der neuen Hausleitung nicht leben will? Was tun, wenn Inklusion nicht von allen Kolleg:innen mitgetragen wird?

Scheitern mitdenken sowie den nächsten besseren Versuch

Leitbilder zu haben, die Antidiskriminierung und Barrierefreiheit formulieren, ist nahezu Standard. Ein Leitbild zu haben, das miteindenkt, wenn diese Werte an der Struktur der Organisation scheitern, nicht. Diese Ehrlichkeit aber brauchen wir, um zu unseren Herausforderungen angemessen zu begegnen. Erst dann ist in den Strukturen möglich, was auf den Bühnen Standard ist: Probieren. In der Probe ist das Scheitern mitgedacht, der nächste und (hoffentlich) bessere Versuch immer mitgemeint. Wenn wir dieses Verständnis in unser Management aufnehmen, können wir mit Mitteln der Kunst anstatt über unsere eigenen Strukturen hinauszuweisen, direkt in diese wirken. 

Dieses Proben werden meine Mitstipendiat:innen und ich vor allem nach Ende des Programms leben können – und uns hoffentlich darüber austauschen in einem Nachtreffen oder mit der nächsten Gruppe des Programms. Dessen Ziel, dass die Teilnehmer:innen zu einer Community of Practice zusammenwachsen und über dessen offizielle Laufzeit hinaus Cultural Leadership leben und weiterentwickeln, wird nun von uns verwirklicht werden. 

Mein Learning des Programms ist also, dass meine Werte meine größte Ressource sind und dass ich diese am besten schütze, indem ich ihr Scheitern in mein Wertegerüst mitdenke. Graham Leicester in „Rising the Occasion. Cultural Leadership in powerful times“, macht sich genau für diese Auffassung von Cultural Leadership stark, wenn er Unsicherheit als Raum zum Lernen begreift und Lernen nicht als Prozess, sondern als Existenzform beschreibt. Nicht nur die künstlerischen Produktionen unseres Kunst- und Kulturbetriebs sind Raum für Entwürfe gesellschaftlicher Transformation, sondern auch die Strukturen unserer Institutionen und Projekte.

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